Ludwig van Beethoven:
Die Geheimnisse in seinem Violinkonzert Op. 61
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Das Violinkonzert von Ludwig van Beethoven op. 61 ist heute eines der meistgespielten Werke für Violine und Orchester, und es war das erste Stück, das ich zu Beginn meines Masterstudiums am Mozarteum Salzburg bei Prof. Igor Ozim studiert hatte. Prof. Ozim schaffte es irgendwie, eine Kopie des Manuskripts zu bekommen und brachte dieses einmal in eine Unterrichtsstunde. Wie ich herausfand, war in den 60er Jahren ein Faksimilie-Druck erschienen, der sehr detailliert alle Eintragungen des Komponisten reproduziert. Als ich dann mein erstes (und bei weitem nicht letztes) Engagement erhielt, dieses Konzert mit Sinfonieorchester in Albanien mit dem dortigen Radio Philharmonic Orchestra aufzuführen, begann ich, die üblicherweise in Verwendung stehende Urtextausgabe akribisch mit dem Manuskript zu vergleichen.
Leider machen auch Urtext-Editionen viele Fehler. Wenn Sie z.B. von den Mozart-Sonaten und Konzerten die gängigen Ausgaben bis hin zur Handschrift und dem Erstdruck rückverfolgen, würden Sie von der Genauigkeit sehr schnell enttäuscht sein. Die Herausgeber fügen Dynamiken (f und p) an Stellen hinzu, an denen sie es für sinnvoll hielten, kennzeichnen jedoch nicht dass es sich hier nicht um Angaben des Komponisten handelt. Auch Vorschläge werden verändert.
Ich hatte das ja bereits bei der Aufnahme meiner Dialog mit Mozart-CD untersucht - und jetzt kürzlich ebenso mit den Klaviertrios.
Probenarbeit an der alternativen Version mit dem Bournemouth Symphony Orchestra unter Marta Gardolinska im September 2019 im Poole Lighthouse Foto: @bsorchestra
Aber verglichen mit dem, was ich im Beethoven-Konzert fand, waren die "Urtext"-Fehler in Mozarts Werken ziemlich unbedeutend. Obwohl in keiner Ausgabe erwähnt stellte sich heraus, dass Beethoven an vielen Stellen (insbesondere im ersten und zweiten Satz seines Konzerts) eine zusätzliche "Ossia"-Geigenstimme schrieb. Wenn Beethoven etwas von ihm Geschriebenes nicht verwenden wollte, wenn er z.B. eine Melodie begann und beschloss, sie anders zu schreiben, strich er sie durch. Mit viel Leidenschaft. Aber in diesem Konzert ließ er sehr oft am Ende zwei Möglichkeiten. Nicht immer bietet diese andere Version neues musikalisches Material - meistens zeigt sie unterschiedliche Möglichkeiten für das gleiche Material. Wenn man ein sich wiederholendes Arpeggio in A-Dur c2#-e2-c3# als Triole oder in 4 geteilt und c2#-e2-c3#-e2 spielt, macht keinen musikalischen Unterschied. Ich vermute also, dass Beethoven (der dieses Violinkonzert für Franz Clement, Konzertmeister und Orchesterleiter am Theater an der Wien, geschrieben hat) gemeinsam mit dem Solisten ausgewählt hat, welche Fassung in den Erstdruck kommen soll. Viele Passagen wären auch zu hoch, zu schwer gewesen. Auf der anderen Seite bieten manche Alternativen tatsächlich neues musikalisches Material - wie z.B. der Beginn der Durchführung des ersten Satzes (VIDEO) - wo an einem der transparentesten und magischsten Momente der klassischen Musik eine andere Tonleiter, viel verspielter und neugieriger, angespannteren harmonischen Kombinationen folgt. Anders als wir es gewohnt sind, eine andere Atmosphäre entsteht. Manchmal habe ich die bekannte Version der nicht gedruckten vorgezogen - da es keinen musikalischen Unterschied macht, und Beethovens Entscheidung, die andere zu drucken, respektiert werden muss. Meine persönlichen Partituren sind voll von kleinen zusätzlichen Notenlinien, die über die gedruckten Noten geklebt sind.
Die obere rote Markierung sind die drei Töne, die wir heute gewohnt sind, gleich am Ende des ersten Solo-Violine-Einsatzes.
Die untere rote Markierung zeigt eine weitere Möglichkeit - das Spielen einer Tonleiter von a bis a anstelle eines Arpeggios.
Für Beethoven hatte es eine dritte und vierte Möglichkeit gegeben, aber er hat sie ganz deutlich durchgestrichen. Aber zwei Versionen bleiben. Einige der alternativen Versionen hat Beethoven auch in seiner Klavierkonzert-Fassung implementiert - wie auch eine eigene Kadenz.